Montag, 9. November 2009

heute vor 20 jahren war ich 8 jahre alt. ich saß abends mit meiner mutter vor unserem winzigen schwarzweiß- fernseher und sah staunend zu, wie in berlin irgendwas riesengroßes passierte, das ich nicht vollständig begreifen konnte. hunderte, tausende menschen hatten sich vor und hinter dieser mauer versammelt, obendrauf saßen auch welche. es war laut, sektkorken knallten, menschen flennten, schluchzten und schrien ihr fassungsloses glück, ihre erleichterung und ihre angst der ganzen letzten jahre in die fernsehkameras, die diese bilder zu uns ins wohnzimmer übertrugen; ein wohnzimmer in einem holzhaus in einem schneebedeckten bauerndorf. ich hatte gänsehaut.
von der mauer hatte ich schon viel gehört; gerade in der letzten zeit kam viel darüber im fernsehen und viele erwachsenengespräche drehten sich um sie. ich hatte versucht, das zu verfolgen und zu verstehen, soweit man sowas als achtjährige verstehen kann. ich hatte von menschen gehört, die in ihrem land eingesperrt waren und bei dem versuch, es zu verlassen, erschossen würden. von autos, auf die man 18 jahre lang warten musste, von telefonanschlüssen, die nur bekam, wer dauerhaft krank war. von einer stasi, deren mitglieder ich mir immer wie die grauen herren bei momo vorstellte. mein vater hatte verwandte "drüben" und als er mal von einem besuch wiederkam, brachte er ostmark mit, irrwitzig leichtgewichtige münzen.
was da im vorfeld des 9. november passierte, hatte mich irgendwie aufgewühlt; ich hatte sogar einen brief an egon krenz geschrieben, in dem ich ihm mitteilte, wie toll ich das fände, dass die mauer jetzt ein loch hätte. das war, nachdem tausende menschen durch "löcher" in grenzzäunen in die bundesdeutschen botschaften prags und warschaus geflohen waren. adressiert habe ich den brief an "egon krenz bei rtl", weil ich ihn eben im fernsehen gesehen hatte. ich glaube, die erwachsenen um mich herum hat das amüsiert; aber leider hat niemand den inhalt meines briefes (und damit mein verständnis der geschehnisse) oder die adresse auf dem umschlag korrigiert.
jedenfalls saßen wir vor diesem fernseher, meine mutter und ich; ich mit gänsehaut und großem staunen, schweigend. und meine mutter nervös, unuhig. sie murmelte immer wieder leise worte der fassungslosigkeit vor sich hin; das einzige was sie während der gesamten berichterstattung laut und deutlich sagte, war: "guck dir das genau an, ganz genau. du musst dir das alles merken und das darfst du nie, niemals vergessen". und dann weiß ich noch, dass sich in der zeit nach dem 9. november selbst in unser popeliges kuhkaff der ein oder andere trabbi verirrte, und ich sehe meine mutter am straßenrand stehen und jedem einzelnen trabbi mit betont erfreutem gesichtsausdruck zuwinken.

jedes jahr am neunten november sitze ich wieder vor dem fernseher und gucke mit all die dokumentationen und chroniken an. und jedesmal kriege ich erst gänsehaut ("...privatreisen nach dem ausland...das tritt nach meiner kenntnis...ist das sofort....unverzüglich") und dann tränen in den augen bei den archivbildern der feiernden, tanzenden und schluchzenden menschen.