Montag, 3. September 2012

noch mehr senf zu #609060 und dicksein generell.

ich schrieb ja, dass ich hier unbedingt wieder mehr schreiben will. man sieht, wie gut das seither funktioniert hat: ungefährt gar nicht. weil ich nicht weiß, in welcher form ich hier schreiben will. jetzt habe ich aber gerade was, wozu ich einige gedanken festhalten möchte, und den schreibe ich eben hier rein, auch wenn wahrscheinlich eh seit jahren keiner mehr mein blog liest. egal.
es geht um #609060, ein intragram- mem über "normale menschen in oberbekleidung", zu dem sich gerade eine größere diskussion ua über den begriff "normal" entspinnt, an deren auslösung ich via twitter nicht unbeteiligt war.
die originalidee hatte journelle, so wie diverse meinungen dazu kann man zb hier oder dort nachlesen. heute schrieb anke einen artikel dazu, der mir im großen und ganzen von allen am nächsten liegt. trotzdem möchte ich noch etwas ergänzen. anke schreibt:

"Das mag jetzt das totale Haarespalten sein, um die Aktion doof zu finden. Ist es nicht. Ich hatte nur von Anfang an das Gefühl, dass diese Fotogalerie keine ist, in der ich auftauchen möchte. Ich will mit meinem nicht-normalen Körper nicht in einer Reihe von Mädels stehen, die – und hier unterstelle ich mal ganz fies etwas – beim Anblick meines Körpers als erstes NICHT denken, wow, total normal, sondern: Puh, bin ich froh, dass ich nicht so aussehe. Weil es eben nicht normal ist so auszusehen wie ich aussehe.

Trotz des fürchterlichen Hypes um die angebliche Adipositas-Epidemie BOOGA BOOGA BOOGA gibt es längst nicht so viele fette Menschen, wie die meisten nicht-fetten Menschen glauben (möchten?). Vielleicht guckt ihr euch mal kurz in eurem Büro, eurer Uni, auf der Straße oder im Bus um? Da sind ne Menge Menschen, die so aussehen wie ihr und sehr wenige, die so aussehen wie ich. Ihr seid die Norm. Ich bin es nicht."

ich kann sehr gut nachvollziehen, was anke da schreibt und fühlt, weil es mir eben oft ähnlich geht. beispielsweise war ich aus dieser angst vor blicken, kommentaren oder auch nur unterstellten gedanken schlanker leute heraus acht jahre lang nicht mehr schwimmen, und innerhalb dieser acht jahre hatte ich zeitweise mal 15 kilo mehr und auch mal 25 kilo weniger als jetzt. vor wenigen wochen war ich nach dieser langen zeit zum ersten mal wieder an einem baggersee. und es war das tollste und befreiendste, was ich in letzter zeit gemacht habe. vielleicht gab es da leute, die mich ansahen und dachten: "puh, bin ich froh, dass ich nicht so aussehe." aber es gab möglicherweise auch leute, die mich, oder flickr- gruppen wie die von anke erwähnte fatshionista ansehen, oder blogs mit ähnlichen fotos, und die denken: "wow, sieht die gut aus". oder "wow, die traut sich was"

ich zum beispiel denke das relativ oft, wenn ich enorm übergewichtie frauen in blogs wie zb meinem persönlichen liebling fat grrrl activism sehe: "wow". okay, es ist ein "wow", dem in den meisten fällen erstmal ein "obwohl" folgt. "wow, sieht die gut aus/ die traut sich was, obwohl sie dick ist". und klar, dieses obwohl wünscht man sich als dicker mensch natürlich weg, weil genau das ja wieder die abweichung von der "norm" deutlich macht. aber ich finde, dieses obwohl muss erlaubt sein. weil es hilft, den wandel im kopf möglich zu machen. "wow, die traut sich was. die traut sich das, obwohl sie dick ist. die scheißt drauf, wie ich das finde. und die sieht dabei auch noch gut aus." ungefähr so gehen meine gedanken oft, wenn ich fat grrrl activism lese. das ist vielleicht erstmal unrühmlich, aber es hat was mit mir gemacht. denn irgendwann folgte diesem gedanken der nächste: "und warum mache ich das nicht einfach auch so?" warum akzeptiere ich, meine lebensqualität acht jahre lang massiv einzuschränken, weil ich denke, ich sei zu fett für die anderen am baggersee? warum verstecke ich meine speckrollen in möglichst weiten klamotten, anstatt anzuziehen, worin ich mich gut finde? warum stelle ich mich auf konzerten sachte wippend an den rand, obwohl ich lieber mittendrin wäre und wild hüpfend meine strumpfhosen zertanzen möchte?

auf all diese dinge habe ich jetzt lange verzichtet, weil ich dachte, dass ihr schlanken menschen da draußen daran anstoß nehmen würdet. ich kriege gar nicht richtig in meinen kopf rein, auf wieviel gute erlebnisse, auf wieviel lebensqualität ich in den letzten jahren verzichtet habe. nur weil ich dachte, ihr steht dann vielleicht lästernd und mit dem finger auf mich zeigend am rand. vielleicht tun einige von euch das ja auch. und denen möchte ich sagen: fuck off. ich hab euch auch am baggersee gesehen, viele sogar nackt, denn es ist ein beliebter fkk- badessee. und wisst ihr was? ihr habt auch ungleich große brüste, faltige hintern, cellulite, kleine speckröllchen, behaarte leberflecken,  und das wird alles nicht schöner oder hässlicher, weil ihr 4 kleidergrößen weniger habt als ich. also kommt drüber weg, dass es menschen wie mich gibt; ich bin genauso schön wie ihr, und ihr seid genauso unansehnlich wie ich. und während ihr da am rand standet und über mich gelästert habt, hatte ich übrigens eine verflucht gute zeit. just saying.

mein nächster gedanke ist dann aber: wie unfair ist es eigentlich, allen schlanken menschen solche fiesen gedanken zu unterstellen? ich bekomme so oft auch von schlanken menschen gesagt, dass ich hübsch sei oder gut aussehen würde und ich bin mir sicher, dass die allermeisten das auch erhlich meinen. ich übe gerade, dass einfach annehmen zu können, lächelnd "danke" zu sagen und mich zu freuen. wie schei*e bin ich eigentlich, wenn ich glaube, solche schlanken menschen rufen gleich nach der begegnung mit mir ihre schlanke beste freundin an und sagen: "ich habe gerade xy getroffen und ihr gesagt, sie sähe toll aus! und die hat das auch noch geglaubt! hahahaha! knaller, oder? *prust*" ich will solche gemeinen gedanken über euch schlanken menschen nicht mehr haben. es tut mir leid. ihr seit alles nette menschen und ich glaube euch, dass ihr es ehrlich mit mir meint. (falls ihr es nicht ehrlich meint, lest bitte den absatz obendrüber nochmal genau durch.)

so, und um jetzt wieder zum punkt zu kommen: dieser gedankliche wandel geht mit mir schon eine ganze weile ab. ende letzten jahres habe ich mir bei allet rund in berlin kurze röckchen gekauft. und ich liebe sie (zugegeben: ich trage sie in hier-kannste-allet-machen-interessiert-eh-keen- berlin lieber als hier im provinziellen freiburg, aber ich liebe sie). ich esse in der öffentlichkeit. auch eis, und kuchen, und ich gucke nicht mehr, ob jemand mir dabei zuguckt. und neulich habe ich mir einen himbeerroten badeanzug gekauft und bin zum ersten mal seit acht jahren wieder schwimmen gegangen. ich werde nicht wieder acht jahre warten, bis ich das das nächste mal tue. ich lerne gerade, mich zu zeigen, so wie ich bin, obwohl ich nicht damit einverstanden bin, dass ich dick bin. es ist sehr befreiend und fühlt sich gut an. denn mittlerweile ist es mir wirklich sehr egal, was andere über meine figur denken, und wieviel ihrer lebenszeit sie darauf verschwenden, schlechte gedanken über dicke menschen zu haben. und deshalb mache ich seit kurzem auch bei #609060 mit, auch wenn ich zuerst fand, dass es zu sehr in eine bestimmte richtung lief - denn gerade viele dicke menschen begriffen das wort "normal" im titel dieses mems wohl als ausladung, und so glichen die fotos unter diesem hashtag zunächst eher einer galerie für schlankes daily-outfit-bloggen. das hat sich in den letzten zwei tagen schon ein kleines bisschen geändert, was mich sehr freut. ich möchte "normal" durch "echt" ersetzen und ich wünsche mir, dass noch mehr echte menschen auch größerer konfektionsgrößen dort mitmachen. ihr seid schön, ihr seht toll aus. traut euch! traut euch so lange, bis ihr euch nicht mehr trauen müsst.