Dienstag, 28. Oktober 2008

wie es war.

seit einer woche überlege ich daran herum, wie ich dieses riesending mit der geburt beschreiben soll. womit ich die fragen nach dem "wie fühlt sich sowas an" und dem "wie weh tut es wirklich" beantworten soll. seit einer woche suche ich nach umschreibungen und metaphern, die dieses ereignis für mich festhalten und für menschen fassbar machen, die es selbst noch nicht erlebt haben.
und ich fürchte, ich muss akzeptieren, dass das wohl nicht möglich ist. so, wie die natur dafür sorgt, dass so ein ganzes kind mit 35 zentimetern kopfumfang wo durch passt, wo bisher nur dinge mit einem vergleichsweise lächerlichen durchmesser platz hatten, dass also der körper eine regelrechte brachialität verhältnismäßig unbeschadet überstehen kann, so sorgt sie auch dafür, dass man mental zwar tief beeindruckt, aber doch heil davon kommt.
wie wohl alle sog. frisch gebackenen eltern werden auch wir zur zeit sehr oft nach dem verlauf der geburt unseres kindes gefragt. wir haben sehr schnell gelernt, uns bei der beschreibung der geschehnisse auf ähnlich reduzierte floskeln zu beschränken, wie wir sie immer von anderen gehört haben: 'ja, alles gut gelaufen, alle gesund und glücklich'; sowas eben.
'soundsolange wehen, soundsolange presswehen, dann dieses, dann jenes und dann war das kind da' - mag sein, dass man auf solche kurzbeschreibungen zurückgreift, weil man keine lust hat, jedem die details ausführlich zu erzählen. vermutlich will die auch gar nicht jeder hören. aber jetzt, da auch wir, da auch ich eine geburt hinter mir habe weiß ich, dass es noch einen weiteren grund für solche seltsam mechanisch klingenden geburtsbeschreibungen gibt: die erinnerungen verblassen unglaublich schnell. und dahinter steckt, siehe oben, sicher irgendeine ausgefuchste schlauheit von mutter natur, um die geburt weiterer nachkommen nicht durch schlimme erinnerungen an die erste geburt zu vereiteln.
in den ersten tagen nach der geburt ist die erinnerung, vor allem auch die körperliche noch ganz frisch. der gesamte intimbereich fühlt sich an, als wäre er durch den mixer gedreht worden; alles geschwollen, nach außen gestülpt, blutig, wund. man muss sich schon mit einem spiegel gewissheit verschaffen, dass zwischen den beinen wenigstens noch so etwas wie eine grobe grundordnung herrscht und doch nicht alles, wie gefühlt, in fetzen hängt. die hölle beim pinkeln, das laufen beschwerlich, sitzen geht nur auf weichem untergrund. der körper ist unglaublich müde und erschöpft - ich erinnere mich, dass ich es montagabend nur mit letzter kraft und zitternd vor anstrengung aus der badewanne und zurück ins bett geschafft habe.
man weiß zunächst noch sehr genau, wie es war, als man diesen gewaltigen ruck in der körpermitte spürte, etwas gewaltig großes rutschte irgendwo durch und irgendwo rein, und dann kamen die presswehen und dieses gewaltige etwas wurde nach draußen geschoben. der schmerz, den das mit sich bringt, ist nicht in worte fassbar. das heißt nicht, dass er unfassbar schlimm ist - man kann ihn einfach nur nicht erklären. nichts, was ich bisher an schmerz oder körperlichem gefühl kennen gelernt habe, könnte jemandem, der noch nicht geboren hat, vermitteln, wie sich eine presswehe anfühlt. das eigentliche ist aber auch nicht der schmerz, sondern vielmehr der grad an überwältigung, mit dem presswehen einen überkommen: der körper macht die arbeit vollkommen alleine, schiebt das kind mit jeder wehe weiter nach vorn, man hat keine kontrolle mehr, über nichts. man ist der situation vollkommen ausgeliefert; dieses kind wird jetzt unweigerlich da durch geschoben, egal wie sehr das schmerzt, egal wie sehr es spannt, egal wie sicher man sich ist, dass gleich alles kaputtreißen wird, egal welche körperlichen abfallprodukte dabei nebenher mit ausgeschieden werden. es ist ein bisschen so, als läge man gefesselt auf dem asphalt, würde immer und immer wieder von einer planierraupe überrollt und könnte sich nichts mehr sicher sein, außer der tatsache, dass dieses monsterding, das gerade ohne rücksicht auf verluste über einen drüber gefahren ist, dasselbe auch noch ein weiteres und noch ein weiteres und nochmal und wieder tun wird. man kommt aus der nummer nicht mehr raus.
solange der körper sich noch an all das erinnert, kann man plötzlich verstehen, weshalb manche frauen lieber per wunschkaiserschnitt entbinden. unmittelbar nach der geburt war ich mir absolut sicher, dass ich sowas sicherlich nie wieder mitmachen werde. nie wieder dieser unglaubliche schmerz, nie wieder diese angst, nie wieder so martialisch schreien, nie wieder so viel selbstentblößung.
aber dann hat man dieses kind, das dann trotz neun monaten vorbereitungszeit mehr oder minder plötzlich und überraschend vor einem liegt: der zweite strich auf dem schwangerschaftstest, der diffuse, zappelnde schatten auf dem ultraschall, dass rumpeln und treten im bauch, der lang erwartete dritte im team, da liegt er blutverschmiert und glitschig, fremd und hilflos in dieser neuen welt. da ist er, wow, wahnsinn, er gehört jetzt zu einem, man darf ihn behalten, für immer, was für eine riesensache.
dieses faszinierende kleine menschenkind zieht einen mit allem, was es tut, vollkommen in seinen bann. es kann noch nicht viel außer niedlich aussehen, niedliche geräusche machen, schlafen, kacken und schreien. aber all das macht es auf die perfekteste weise; es vergehen einige tage, in denen man sich wortwörtlich über jeden furz freut und ganz beschäftigt damit ist herauszufinden, wie dieser kleine mensch so drauf ist und wie man mit ihm umgehen muss. und ehe man sich versieht, besteht der größte teil der erinnerung an die geburt nur noch aus schemen. sie verschwimmt mit jedem tag mehr. und spätestens, wenn auch der körperliche restschmerz ganz langsam immer weiter zurückweicht, man wieder besser laufen und wieder auf der toilette pinkeln kann, spätestens dann weiß man das meiste nur noch, weil man es mit seinem partner so oft rekapituliert und reflektiert hat. man erinnert sich an die eigenen worte, mit denen man es beschrieben hat, aber das tatsächliche gefühl dazu ist weg, man kann es nicht mehr nachspüren.
irgendwann ist es dann auch nicht mehr so wichtig, schließlich hat man dieses kind, diese neue, eigene familie, neue herausforderungen. wie detailliert irgendwer anders unser geburtserlebnis kennt, gerät vollkommen in den hintergrund, schließlich haben wir uns und das, was dieses irre erlebnis mit uns gemacht hat. und auch wir haben unsere eigene floskelhafte kurzbeschreibung: ich hatte von samstagnachmittag bis montagmorgen gut 44 stunden wehen, die wir, betreut von der hebamme, zuhause verbracht haben. auf dem herd köchelte rindersuppe, auf dem esstisch war ein nervennahrungs-buffet aufgebaut. ich lag auf einem matratzenlager im wohnzimmer, vertönte alle par minuten eine wehe und alles war wunderbar. zwar wurden die wehen immer heftiger, aber die wehenabstände leider nicht kürzer und der muttermund öffnete sich nur sehr langsam, so dass wir uns montag morgens entschlossen, in die klinik zu fahren, um dort die fruchtblase öffnen und mich an einen wehentropf anschließen zu lassen. letzteren brauchte es dann aber gar nicht mehr; fast sofort nach dem öffnen der fruchtblase setzten presswehen ein. wenig später, um 12 uhr 8, nach insgesamt 46 stunden wehen, wurde max dann geboren. kaum 2 stunden später waren wir schon wieder zuhause. zu dritt, vollkommen erschöpft, vollkommen glücklich und mit einem wunderbar zufriedenen gefühl von zuhause und vollständigsein.
und alles daran war für uns genau richtig so, wie es war.